Spielt die Bundesliga bald auch an Weihnachten?

In Deutschland ruht der Ball, die Spieler, Trainer und Funktionäre feiern mit ihren Familien Weihnachten und alle verdauen den Festtagsbraten. In England sieht das ganz anders aus, denn hier stürmen die Fans am 26.12. die Stadien: Es ist Boxing Day, der wörtlich übersetzt „Geschenkschachtel-Tag“ bedeutet.  Seinen Ursprung hat der 26. Dezember im Commonwealth als der Tag, an dem die Bediensteten früher von ihren Arbeitgebern mit Geschenken, Sonderzahlungen oder Resten vom Weihnachtsessen beschenkt  wurden  – in der so genannten „Christmas Box“.

Und seit dem Jahr 1860 wird am 26. Dezember in England, Wales, Schottland und Nordirland traditionell Fußball gespielt. Da dieser Tag ein Feiertag war, konnte auch die Arbeiterklasse an diesem Tag ins Stadion gehen, während sie an den meisten anderen Spieltagen keine Zeit dafür hatten.

In den Stadien herrscht am Boxing Day eine ganz besondere Stimmung, es ist Weihnachten und noch dazu der Tag im Jahr, den viele Fußballfans für einen Stadionbesuch mit der ganzen Familie nutzen. In England gehören die Spiele genauso zum guten Fest wie der gefüllte Truthahn oder die Ansprache der Queen. Der Boxing Day ist auf der Insel der prallste Fußballtag des ganzen Jahres – und der lukrativste. Die Besucherzahlen und Einschaltquoten werden auch 2016 wieder prächtig sein. Fast alle haben Zeit an Weihnachten, viele haben Langeweile – und Lust auf Fußball zu Abwechslung.

Kuriositäten aus der Geschichte des Boxing Day

Ein Blick in die Geschichte zeigt, was man alles so erleben kann, wenn an den Feiertagen der Ball über den grünen (oder schneeweißen) Rasen rollt.

Als die Bundesliga 1963 gegründet wurde, hatte der englische Weihnachtsfußball schon mehr als 100 Jahre auf dem Buckel. 1860 wurde am Boxing Day erstmals gespielt und Sheffield FC trat als ältester Fußball-Klub der Welt im Derby gegen Hallam FC, den zweitältesten Verein der Welt an. Sheffield gewann das Spiel 2:0. Viele Spieler in England geraten beim Gedanken, an diesem Tag spielen zu müssen, ins Schwärmen. Aber eben nicht alle.

Der ehemalige englische Star-Schiedsrichter Howard Webb packte nach seinem letzten Schlusspfiff aus und berichtete, dass ihn während seiner aktiven Karriere vor den Weihnachtsfeiertagen immer wieder Spieler aufgesucht hätten – mit bemerkenswerten Ansinnen. „Das ist natürlich nichts, was Fans hören wollen. Aber die Spieler sagten, eine Gelbe Karte würde ihnen recht gut in den Kram passen“, sagte er. Es waren diejenigen, die bereits vier Gelbe Karten auf dem Konto hatten, durch die fünfte gesperrt gewesen wären und dann über Weihnachten frei gehabt hätten. Zeit für die Familie also. Menschlich nachvollziehbar, aber nicht unbedingt professionell.

Dabei ist die Atmosphäre bei diesen Partien unvergleichlich, sogar festlich. Familien mit Kindern pilgern dann ins Stadion und bevölkern die Tribünen. Spieler wie der Spanier Juan Mata von Manchester United berichteten, sie bekämen regelmäßig Gänsehaut, wenn sie an diesem Tag ins Stadion einlaufen würden. „Es ist das wohl speziellste Spiel der Saison“, sagte er.

Oft passiert am Boxing Day auch Besonderes. 1888 spielte der FC Everton gleich drei Spiele an Weihnachten:  Am Weihnachtsmorgen ein Pokalspiel gegen Blackburn Park Road (3:2), am Nachmittag ein Show-Match gegen Ulster FC (3:0), vor der damals großen Menge von 2000 Zuschauern, und einen Tag später, im Hagelschauer, ein 0:0 gegen Bootle.

Mit übertriebener weihnachtlicher Herzlichkeit, Füße hochlegen und Besinnlichkeit war es auch sonst oft nicht weit her. Als die Blackburn Rovers im Derby gegen Darwen an Weihnachten 1890 ein Reserveteam aufboten, um die besten Akteure  für das Spiel gegen Wolverhampton am Folgetag zu schonen, reagierte der Gegner beleidigt, indem er seinerseits auch nur die Reservisten aufstellte. Das wiederum führte dazu, dass Tausende Zuschauer erbost waren und auf die Barrikaden gingen, wie die „Birmingham Daily Post“ schilderte: „Die Menge stürmte das Feld, zertrümmerte die Torpfosten, beschädigte die Tribünen. Das Spiel fand nicht statt.“

Der FC Arsenal hatte dagegen ein anderes Problem: Er durfte an Weihnachten keine Heimspiele austragen, weil der Londoner Grund und Boden, auf dem das legendäre Highbury-Stadion stand, der Kirche gehörte und laut Pachtvertrag an kirchlichen Feiertagen nicht genutzt werden durfte. Erst 1925, als der Klub das Grundstück erworben hatte, fand um 11.15 Uhr das erste Weihnachtsspiel in Highbury statt und es gab vor 33.500 Zuschauern einen 3:0-Erfolg der Gunners gegen Notts County.

2012 fieberte Lukas Podolski – damals noch in Diensten des FC Arsenal London – seinem Boxing-Day-Debüt entgegen, wurde aber enttäuscht. Was war passiert? Londons Gewerkschaft der Zug- und U-Bahn-Fahrer hatte zum Streik aufgerufen, so dass die Partie Arsenal London gegen West Ham United verschoben werden musste.

Den denkwürdigsten Boxing Day der Geschichte erlebten die Fans im Jahr 1963. In den zehn Partien der Premier League fielen unglaubliche 66 Tore. Die Verteidiger hatten das Sprichwort „Schenken macht Freude“ wohl allzu wörtlich genommen. So gewann Fulham 10:1 gegen Ipswich Town, was in einen legendären Spruch des Ipswicher Klubchefs John Cobbold gipfelte. „Die Partie war offen – bis das Spiel begann“, sagte er.

Parallel kam Tottenham zu einem 4:4 bei West Bromwich Albion, wobei die Hausherren ein 2:4-Rückstand aufholten.  Es war schon allein ein Wunder, dass das Team überhaupt auf dem Platz stand. Denn wenige Tage zuvor war es in den Streik getreten, weil der damalige Coach Jimmy Hagan die Spieler bei eisigen Temperaturen zum Training in kurzen Hosen verdonnern wollte.

Boxing Day – bald auch in Deutschland?

Der Boxing Day hat sich mit dem steigenden Kommerz im Fußball-Business deutlich verändert und immer weiter entwickelt. Mit seinen inzwischen weit gefächerten Anstoßzeiten – dieses Jahr sind in der Premier League acht Partien angesetzt, wobei das erste Match um 13.30 Uhr beginnt und das letzte Spiel um 19.15 Uhr angepfiffen wird –  kann der echte Fan fast den ganzen Zweiten Weihnachtstag mit Fußball füllen.

Neben den anderen Vorzügen, die die Premier League zu bieten hat, ist es auch dieser Fußballfesttag, der ihre Anziehungskraft und Vermarktbarkeit in die Höhe treibt. Der Boxing Day ist ein Alleinstellungsmerkmal der Premier League – noch.

Denn auch in Deutschland ist Fußball an den besinnlichen Tagen kein Tabu-Thema mehr. Als die Premier League im Februar einen gigantischen TV-Deal abschloss, schrillten bei der Bundesliga sofort die Alarmglocken. Christian Seifert, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL), reagierte mit der Forderung „unpopulärer Maßnahmen“. So soll der Montag als zusätzlicher Anstoßtermin bereits übernächste Saison hinzukommen.

 

Und auch die Idee am Zweiten Weihnachtstag zu spielen, wurde bereits von mehreren Managern aus Deutschlands Elite-Liga thematisiert. Der Grund liegt auf der Hand, denn ein Boxing Day könnte zusätzliches Geld in die Vereinskassen spülen. In der Bundesliga beginnt die Winterpause traditionell vor Weihnachten. Das muss aber nicht so bleiben.  Laut Gladbachs Manager Max  Eberl müsse die Bundesliga im Vergleich zu ausländischen Ligen konkurrenzfähig bleiben: „Und das erfordert die Bereitschaft, offen zu sein. Beispielsweise für einen zusätzlichen Tag, an dem gespielt wird.”

Fußball an Weihnachten? Für  viele in Deutschland mag das abwegig klingen. Aus englischer Sicht ist es dagegen längst eine Selbstverständlichkeit und ein Jahres-Highlight für jeden Fußball-Fan.

Dass sich dieser Widerspruch aufzulösen vermag, beweist folgende Anekdote rund um Jürgen Klopp. Vor drei Jahren gab der Trainer ein Weihnachtsinterview und schwärmte dabei von der „ruhigsten Zeit im Jahr“, in der die ganze Welt stillsteht – selbst im Fußball. Als junger Trainer von Mainz 05 war er an Weihnachten 2007 gemeinsam mit seiner Frau auf die Insel gereist und wollte sich auch ein Fußballspiel beim London-Besuch live im Stadion anschauen. Im Hotel angekommen, sah er dann überrascht im Fernseher, dass die Begegnung schon lief: Tottenham Hotspur gegen FC Fulham (5:1). Klopp hatte das Spiel erst für den nächsten Tag, den 27. Dezember, erwartet. Wie hätte er auch damit rechnen können, dass es so etwas wirklich gibt: Fußball an Weihnachten.

Heute ist das für ihn zur Normalität geworden und  als Trainer des FC Liverpool beginnt für ihn jetzt wieder die unruhigste Zeit des Jahres. Bis Ende Januar, während in Deutschland größtenteils noch Pause ist, stehen gleich neun Spiele für seine „Reds“ an.

Fußball an Weihnachten, das bedeutet große Tradition in England, verbunden mit immer größerem Kommerz. Und genau dieses finanzielle Interesse könnte auch den Ausschlag dafür geben, dass irgendwann in Deutschland an Weihnachten Fangesänge aus den Stadien schallen – fehlende Tradition hin oder her.

 

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